Symbolbild. Foto: toxi85/pixabay.com
Ein Feindbild gibt Orientierung, ordnet die Welt. Es setzt Energie frei, die dem anderen schaden will. Das führt zu Entzweiung und Tod. KAB-Diözesanpräses Michael Wagner ergründet, ob sich der Feind positiv, im Sinne des Lebens nutzen lässt.
Der nachfolgende Text ist eine Predigt zum Lukas-Evangelium (Lk 6,27-38), wo Jesus seine Jünger zur Feindesliebe auffordert. Die Predigt wurde Ende Februar 2019 verfasst. Den Evangeliumstext können Sie in voller Länge hier nachlesen (PDF-Download).
Die Schrift ist extrem ehrlich, wenn es um das menschlich soziale Miteinander geht. Es ist nicht immer gemütlich wie auf einem kuscheligen Kanapee, wenn Menschen miteinander Leben teilen. Gemeinschaft verläuft oft konfliktreich. Gegnerschaft und Apathie tauchen auf. Ja, seitdem es den Menschen gibt, ist er sich feind. Auch manche Menschen, die sich einst in höchsten Sphären liebten, hassen sich heute abgrundtief verfeindet. Ehemals dickes Blut zwischen Eltern, Geschwistern, Kindern verdünnt sich mitunter so sehr, dass es mehr trennt als verbindet.
Auch heute werden Feindbilder ausgesucht, aufgebaut sowie gehegt und geschürt. Dabei sollte der Mensch hier hellhörig werden. Wenn der Feind zum Fetisch aufgebauscht wird, sollte ein Verdacht aufsteigen. Denn bei einer feindfokussierten Wahrnehmung, die den Feind fixierend stets im Mittelpunkt platziert, sollte sich die Frage stellen: Wem und vor allem wozu nutzt der Feind?
Es ist doch eines auffällig: Wenn ein Mensch es mit jemanden zu tun hat, der ihm übel mitspielt, der sich feindlich verhält, dann motiviert das außerordentlich. Denn Hass und Feind, beide Worte sind ja miteinander verwandt, rühren große Gefühle an. Eine Energie setzt sich frei, die sich wehren will: Dem werde ich es zeigen. Diese entstehende Energie kann ich konstruktiv nutzen. Wozu nutzt mir der Feind?
Der Feind ordnet meine Welt. Er verleiht meiner Sicht auf die Welt eine Struktur. Eine Struktur, die Sicherheit gewiss gewährt. Hier bin ich befähigt, jenen Standpunkt einzunehmen, von dem aus ich mich dem Anderen zu nähern vermag. Ein Mensch, der mir begegnet, ist nicht immer von Hause gleich ein Feind. Dennoch: Der Mensch benötigt Grenzen. Grenzen stiften Identität. Sie zeigen auf: Das bin ich. Und das bist du. Der Feind nützt mir, weil er dazu anleitet, mich zu fragen: Was genau ist das in mir, dass du in mir feindselige Gefühle auslöst? Er hilft mir, dass ich mir meiner selbst bewusster werde und frage: Ist das feindselige Gefühl auch angemessen?
Der chinesische Militärstratege Sunzi schrieb einmal: „Wenn du dich und deinen Feind kennst, brauchst du den Ausgang von hundert Schlachten nicht zu fürchten.“ All die Konflikte, um die ich intensiv innerlich ringe, die verlagere ich gerne in die Außenarena. Das sind Seiten an mir, die ich nicht wahrhaben und letztendlich loswerden will. Da wagt der Feind das Verbotene zu leben, das ich innerlich sehnlichst wünsche, aber moralisch zugleich tief verurteile. Alle Strahlen dessen, was schlecht und böse ist, was verworfen, verrottet, verroht ist, projiziere ich auf des Feindes Leinwand. All das Abschäumige, Schmutzige, Befleckende es lebt leuchtend auf im Film vom Feind.
Wenn ich dem Feind ins Gesicht schaue, dann erscheint in ihm etwas, das mir verborgen und unbewusst ist. Blicke ich in das Gesicht des Feindes, dann blicke ich in einen Spiegel hinein. Dann sehe ich mich selbst. Nur verkehrt herum. Im Gesicht des Feindes erblicke ich mein Angesicht.
Von daher täten wir gut daran, den Feind zu rehabilitieren. Vom Feind lernen, heißt sich selber erkennen. Dazu nutzt der Feind.
Freund und Feind, Liebe und Hass, das sind zwei Gegenpole. Das ist wie Plus und Minus bei den Batterien. Hier ergibt sich Spannung. Da wird Energie frei.
Liebt Eure Feinde! Wenn ich diese Forderung als puren selbstlosen Altruismus verstehe, mich nur auf Liebe und Hingabe hin orientiere, blende ich zutiefst menschliche Gefühle aus. Feindliche Gefühle sind zutiefst menschlich. Sich diese Gefühle zu verbieten und zu unterdrücken, ist eine falsch verstandene Feindesliebe. Rede ich stattdessen viel oder ausschließlich nur noch von Einheit, dann bleibt wenig Platz für das Trennende. Wird auf Konflikte immer gleich der Deckel gelegt, werden Menschen blind für Differenzierung.
Anstatt sich in Einheit zu fläzen, wäre die Feindschaft so zu kultivieren, dass ihre Energien konstruktiven Nutzen bringen. Ein guter Wegweiser in diesem Sinne, die Feindschaft zu kultivieren, ist Nikolaus von Kues. Dieser äußerst gelehrte Theologe lebte im 15. Jahrhundert. Von seinen Zeitgenossen wurde er besonders geschätzt, weil er ein sehr geschickter Diplomat war. Viele Konflikte der Mächtigen vermochte er zu schlichten. Sicher auch aus dieser Erfahrung heraus, vertrat er eine sehr spannende Auffassung:
Die gesamte Welt, die ich wahrnehme, mit ihren Konflikten und Feinden, ist nichts anderes als eine Entfaltung Gottes. Es ist Gott selbst, der sich wiederspiegelt: Sowohl in meiner Meinung als auch in der des Anderen. Gott selbst breitet sich aus in meiner Gutheit, sowie in der Bosheit des Anderen. Erblicke ich also den Feind, dann sehe ich nicht nur in mein spiegelverkehrtes Angesicht. Nein, gleichwie in einem Kaleidoskop, fächert sich Freund und Feind zu einem Gesamtbild dessen auf, das Gott für uns alle erschaffen hat.
So wie sich in der Vielfalt der Welt Gott entfaltet, so wird andersrum in Gott die Vielfalt eingefaltet. Betrachte ich Gott, dann gleicht er dem Brennglas, in dem sich alles Gegensätzliche hin auf einen einzigen Punkt bündelt. Liebe und Hass, Gut und Böse, Freund und Feind, bündeln sich auf einen energetischen Schmelzpunkt, an dem sich Gottes Geist entzündet.
Liebt eure Feinde! Richte dein Leben nicht gegen etwas aus. Das ist ebenso einfach wie bequem. Das führt zu Entzweiung und Tod. Lebe für etwas! Auch wenn es schwer auszuhalten ist. Mich mit den Anderen auseinander zu setzen, setzt versöhnend heilsame Energie frei, um mich selbst im Anderen finden zu können und immer neue Facetten Gottes zu entdecken.
Amen.
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