Diskussionsteilnehmer:innen von links nach rechts – hintere Reihe: Christine Muschalla, Kita-Verwaltungsleiterin; Moderator Michael Wagner, KAB-Präses; Thomas Huber (CSU), MdL und stellv. Vorsitzender im Sozialausschuss des Bayerischen Landtag; Dr. Irina Schumacher, Leiterin der Fachakademie für Sozialpädagogik der Evang. Diakonissenanstalt Augsburg; Sibylle Schuster, Geschäftsführerin der KAB München und Freising, Leiterin der AG Kita; Organisatorin Monika Goldhacker-Paulus, Vorsitzende des KAB-Kreisverbands Neumarkt. Vorne sitzend: Veronika Lindner, Erste Vorsitzende des Verbands Kita-Fachkräfte Bayern e.V.; Dr. Eleonore Hartl-Grötsch, Leiterin des Amts für Tagesbetreuung von Kindern der Stadt Regensburg. Foto: Pamela Rachholz
Die Gefahr eines Zweiklassen-Kita-Systems in Bayern ist gegeben. Es bedarf erheblicher zusätzlicher Anstrengungen der Landesregierung, um sie abzuwenden. Das ist das Ergebnis der Podiumsdiskussion „SOS in den bayerischen Kitas! Sind wir auf dem Weg zur Zweiklassen-Kita?“ vom 09.10.2024 in Regensburg. Unter anderem gibt es eine Finanzierungslücke von 1 bis 2 Mrd. Euro zu stopfen. Thomas Huber, MdL vertrat Ministerpräsident Dr. Markus Söder auf dem Podium. Unter dem Motto „Kita-Beschäftige reden mit“ beteiligte sich das Publikum rege an der Diskussion. Eingeladen hatten die KAB Facharbeitsgruppe Kindertagesstätten (AG Kita) und der Verband Kita-Fachkräfte Bayern.
Die Veranstaltung in voller Länge sehen Sie hier auf Youtube.
„Deutlich wurde, dass an den entscheidenden Stellen die Landesregierung in der Verantwortung ist“, fasst Sibylle Schuster zusammen. „Kommunen und Träger können die milliardengroße Finanzierungslücke bei Weitem nicht alleine schließen. Niemand außer dem Freistaat kann außerdem den gesetzlich geltenden Personalschlüssel in den Kitas verändern. Auch das viel kritisierte modulare Weiterbildungskonzept für Quereinsteiger:innen liegt in den Händen der Staatsregierung. Es ist keineswegs der große Wurf, als den die Sozialministerin es verkauft. Herr Huber hat uns zugesagt, Kritik und Anregungen aus der Diskussion mitzunehmen. Momentan läuft die Überarbeitung des Bayerischen Kinderbildungsgesetzes. Am Ergebnis wird sich die Staatsregierung messen lassen müssen. Als katholischer Verband hoffen wir, dass die CSU-Minister:innen zu ihrer christlichen Verantwortung stehen und qualitativ hochwertige Bildung für alle Kinder in den Kitas sicherstellen – unabhängig vom Geldbeutel der Eltern. Elementarpädagogik muss dringend ernst genommen werden. Sonst häufen sich spätestens mit dem Schuleintritt die Probleme. Die Kinder sind unsere Fachkräfte und Steuerzahler:innen von morgen. In sie muss die Staatsregierung jetzt mit einem klaren Bekenntnis investieren.“
„Kita-Fach- und Führungskräfte fühlen sich seit vielen Jahren von der Politik übergangen, das war der Befund aus unserer letzten Podiumsdiskussion vom 19.03.2024 in München“, so Schuster weiter. „Deshalb haben wir in Regensburg nochmals die Praktiker:innen mit der Landespolitik zusammengebracht und auch die kommunale Ebene sowie Fachakademien und Verbände einbezogen. Wir bleiben im Interesse der Beschäftigten, der Eltern und vor allem der Kinder dran und werden die Entwicklung genau beobachten.“
Der Saal in Regensburg war gut gefüllt. Foto: C.Ziegltrum/KAB
Thomas Huber (CSU), MdL und stellv. Vorsitzender im Sozialausschuss des Bayerischen Landtags, betonte, die Weiterentwicklung des bayerischen Kita-Systems sei Chefsache – nicht nur bei der Sozialministerin Ulrike Scharf, sondern auch bei Ministerpräsident Dr. Markus Söder persönlich. Auch in der CSU-Fraktion habe das Thema oberste Priorität. Man könne das System nur am Laufen halten und qualitativ verbessern, wenn Freistaat und Kommunen bereit seien, mehr Geld ins System zu geben. Den zusätzlichen Finanzbedarf bezifferte er auf 1 bis 2 Mrd. Euro. Huber sprach sich für eine Anhebung des Basiswerts in der Berechnung der kindbezogenen Förderung aus. Ebenso für eine deutliche Verbesserung des Anstellungsschlüssels. Bayern tue alles, was finanziell in seiner Macht stehe. Die Qualität in den Kitas dürfe nicht von der Finanzkraft der Kommunen abhängen. Man müsse aber sehen, ob die Steuereinnahmen ausreichten und in den nächsten Tagen und Wochen die Gespräche zum Finanzausgleich abwarten. Unter den Kommunen gäbe es konträre Sichtweisen und am Ende müsse man eine Entscheidung treffen. Bis Anfang/Mitte 2025 solle die Überarbeitung des Kinderbildungsgesetzes BayKiBiG abgeschlossen sein. Das Quereinstiegsprogramm der Staatsregierung sei ein Erfolgsmodell, wenn man auf die Zahlen schaue. Man solle dem Programm eine Chance geben, die einzelnen Berufsfelder müssten durchlässiger werden.
Dr. Eleonore Hartl-Grötsch, Leiterin des Amts für Tagesbetreuung von Kindern der Stadt Regensburg, erklärte, der Personalmangel in den Regensburger Kitas sei nicht so schlimm wie in anderen Gegenden Bayerns. Man habe in Qualität und in Ausbildung investiert. Sie wünsche sich mehr Diskussionen über ein Minimum in der Bezahlung und über die Arbeitsbedingungen. Wenn Fachkräfte zufrieden seien, dann blieben sie auch. Regensburg bezahle eine Arbeitsmarktzulage und auf Basis eines Trägervertrags freiwillige Leistungen für freie Träger, die Tarifverträge anwendeten. In ihrer Funktion als Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft kommunaler Kita-Träger im Bayerischen Städtetag sagte Hartl-Grötsch, man brauche mehr Geld im System. Insbesondere von Seiten des Freistaats, geschätzt 2 Mrd. Euro. Die Kommunen könnten nicht mehr und weigerten sich, weiterhin ein finanzieller Lückenbüßer zu sein. Aufgaben und der Anspruch an die Kitas hätten sich in den letzten Jahren sehr verändert. So brauche man etwa ein Vielfaches an Spracherzieher:innen und an Zeit für die Kinder zum Erlernen von Grundfertigkeiten. Hartl-Grötsch plädierte für einen entspannten Umgang mit der modularen Weiterbildung. Die Staatsregierung müsse aber dafür sorgen, dass sie evaluiert werde und der komplette Ablauf auch im Berufseinstieg begleitet sei.
Veronika Lindner, Erste Vorsitzende des Verbands Kita-Fachkräfte Bayern, erklärte, es sei schwierig, offene Stellen nachzubesetzen. Man müsse häufig Abstriche machen, mit entsprechenden Folgen für die Dienstplangestaltung und Qualität in den Kitas. Es sei wichtig, dass der Anstellungsschlüssel endlich ein reales Bild zeige. Sonst sei es nur eine fiktive Zahl. Dass beispielsweise freigestellte Kita-Leitungen voll in den Schlüssel eingerechnet würden, verzerre ihn total. Das modulare Quereinstiegsprogramm könne nicht als Erfolgsmodell bezeichnet werden. Zwar gebe es an den daraus hervorgegangenen Assistenzkräften wenig Kritik, sie seien in den Einrichtungen eine Entlastung. Die Qualität der Stufen von Ergänzungskraft und Fachkraft sei aber kaum vergleichbar mit der Fachakademie oder Kinderpflegeschule. Es gebe viele Vorschläge aus dem Verband, auch seitens der Gewerkschaften für Verbesserungen am Programm. Bislang würden diese aber nicht umgesetzt.
Dr. Irina Schumacher, Leiterin der Fachakademie für Sozialpädagogik der Evang. Diakonissenanstalt Augsburg, bestätigte, es herrsche ein enormer Fachkräftemangel. Die Anzahl der Fachakademien habe sich in den letzten 14 Jahren verdoppelt, ebenso die Absolventenzahl des eigenen Hauses. Es gebe aber mehr Kitas und den Rechtsanspruch auf Kindertagesbetreuung, hinzu komme bald der Anspruch auf Ganztagesbetreuung für Kinder im Grundschulalter. Private Einrichtungen, die es könnten, würden mit mehr Geld Fachpersonal anwerben. Bei der Qualifizierung von Quereinsteiger:innen müsse man nachjustieren und sie verbessern, unter anderem die Stundenanzahl erhöhen und Evaluierungen einführen. Sonst untergrabe man die Profession und schaffe einen Konkurrenzkampf mit den regulär ausgebildeten Kräften. Aktuell müssten Fachkräfte in den Einrichtungen viel Zeit aufwenden, um die Quereinsteiger:innen mitzutragen. Die Fachakademien seien bei der Ausarbeitung des modularen Weiterbildungsprogramms nicht einbezogen worden. Sie seien aber bereit, künftig mitzuarbeiten, um ein hohes Qualitätsniveau zu erhalten. Nötig sei ein Imagewandel im Berufsfeld: „Wow, du bist Erzieher:in“.
Christine Muschalla, Verwaltungsleiterin des Kita-Verbunds FEHN, sagte, der aktuell geltende Anstellungsschlüssel lasse ein Arbeiten in den Kitas ohne Überlastung, Burnout und Langzeitkrankheit nicht zu. Der Schlüssel müsse gesenkt und vom Freistaat übergeordnet festgelegt werden. Die Kommunen könnten Personal über die gesetzliche Vorgabe hinaus nicht dauerhaft bezahlen. Seit ihrem Berufseinstieg vor 28 Jahren kämpfe sie gegen das „Image der kaffeetrinkenden Tante, die am Boden sitzt und spielt“. Wenn Kita-Leitungen nun laut Kinderbildungsverordnung keine Fachkräfte mehr sein müssten, dann frage sie sich, wo die Wertschätzung für den Berufsstand sei. Niemand, der schon mal ein Pflaster geklebt habe, komme auf die Idee, sich als Arzt zu bewerben. In der Kita aber nähmen die Bewerbungen ohne entsprechende Qualifikation zu. Niemand komme außerdem auf die Idee, eine Handwerksausbildung zu verkürzen, nur damit alle diese schnell absolvieren könnten. Nur bei den Berufen Erzieher:in und Kinderpfleger:in solle der Quereinstieg nun laut Programm der Staatsregierung mit der halben Anzahl an Unterrichtsstunden möglich sein. Jeder, der wolle, solle als Ergänzungs- oder Fachkraft in einer Kita arbeiten können. Es müsse aber eine qualitativ hochwertige Ausbildung bleiben.
Podiumsteilnehmer:innen während der Diskussion. Von links nach rechts: Christine Muschalla, Veronika Lindner, Thomas Huber, Dr. Eleonore Hartl-Grötsch, Dr. Irina Schumacher, Sibylle Schuster. Foto: C.Ziegltrum/KAB
Die Podiumsdiskussion war „SOS in den bayerischen Kitas! Sind wir auf dem Weg zur Zweiklassen-Kita? Kita-Beschäftigte reden mit!“ fand am 09.10.2024 von 18:00 bis 20:00 Uhr im Pfarrsaal Heiliger Geist, Isarstr. 54, 93057 Regensburg statt. Das Publikum bestand zum Großteil aus Kita-Fach- und Führungskräften aus Regensburg und den umliegenden Landkreisen.
241016-KAB-PM-SOS-Zweiklassen-Kita-Podiumsdiskussion-final.pdf
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