Papst Franziskus auf dem Petersplatz in Rom. Foto: Annett_Klingner/Pixabay
KAB-Bundespräses Stefan Eirich sieht in der Enzyklika des Papstes vom 04.10.2020 eine deutliche Absage an neoliberales Denken. Die KAB werde in ihrem Ziel bestärkt, eine solidarische und gerechte Gesellschaft zu gestalten – aber auch ermahnt.
Ein Kommentar von Bundespräses Stefan Eirich
Bundespräses Stefan Eirich. Foto: KAB
Dürfen die Aktivitäten eines christlichen Sozialverbandes in Zeiten der Pandemie erlahmen? Wer die neueste Enzyklika des Papstes mit dem Namen „Fratelli tutti“ gelesen hat, wird diese Frage nicht nur mit einem entschiedenen Nein beantworten, sondern sie für nachgerade widersinnig halten. Im Grunde können diese Aktivitäten gar nicht ins Stocken geraten, denn Christinnen und Christen müssen, so Franziskus, in einem durch „zivilisierte Barbarei“ verdunkelten Zeitalter förmlich für eine weltweite Kultur der Nächstenliebe brennen. Die globale Dimension dieser Forderung konkretisiert sich im sozialen Handeln vor Ort.
Hier liegt der Fremde, der im Gleichnis vom „Barmherzigen Samariter“ unter die Räuber geraten ist, am Straßenrand und fordert unsere tätige Aufmerksamkeit. Somit findet jetzt der Ernstfall christlicher Nächstenliebe statt. Mitglieder eines christlichen Verbandes wie der KAB müssen daher tagtäglich neu entscheiden, ob sie in dieser Situation zur Seite schauen oder sich fordern lassen, denn der Dienst am Guten beginnt von unten. Er findet z.B. an der Seite der von Massenentlassungen bedrohten Beschäftigten in der Automobilbranche und dem Einzelhandel statt, er solidarisiert sich mit schlecht bezahlten Pflegekräften und kämpft für bessere Arbeitsbedingungen moderner Tagelöhner. Ausflüchte wie Überalterung, schwindende Mitgliederzahlen oder nachlassende Kräfte lässt der Papst nicht gelten, schon gar nicht, wenn sie immer mehr als Entschuldigung für eine schon lange kultivierte„lähmende Traurigkeit“ herhalten müssen. Auch Predigt und Katechese müssen dieser Versuchung zur Resignation entgegentreten. Ihre zentrale Aufgabe besteht darin, klar und deutlich für die soziale Bedeutung der Existenz, für die geschwisterliche Dimension der Spiritualität und für die Überzeugung von der unveräußerlichen Würde jedes Menschen einzutreten. Mitglieder eines Sozialverbandes können und sollen der lebende Hinweis auf den vom Papst hier erinnerten „Glutkern des Evangeliums“ sein.
Die KAB wird in ihrem Ziel, eine solidarische und gerechte Gesellschaft zu gestalten, vom Papst bestärkt und sollte aus „Fratelli tutti“ neue Kraft für die von ihr beanspruchte Überwindung sozialer Ungerechtigkeiten und ihren Kampf um die gesellschaftliche Teilhabe von benachteiligten Menschen schöpfen, denn, so der Papst, jeder Mensch ist wertvoll und hat das Recht, in Würde zu leben und sich ganzheitlich zu entwickeln. Die KAB tut gut daran, sich immer wieder auf ihre ureigenen Forderungen wie die soziale Verpflichtung des Privateigentums, die Ausrichtung unternehmerischen Handels auf die ganzheitliche Förderung von Arbeitnehmer*innen und sinnvolle Arbeit für alle besinnt.
Als politische Bewegung wird die KAB von Papst Franziskus dazu gedrängt, sich für eine auf das Gemeinwohl hin ausgerichtete Politik einzusetzen: für eine Politik, die die menschliche Würde ins Zentrum stellt und auf dieser Grundlage ein alternatives und neuartiges soziales Engagement entwickelt. Dies aber darf nicht wie im Deutschland der sogenannten „Hartz-IV-Reformen“ über die Köpfe der Betroffenen hinweg, sondern nur unter deren aktiver Beteiligung geschehen. Würde und Arbeit gehören für den Papst auf das Engste zusammen. Das Schlimmste ist es, einem Menschen beide zu nehmen. Genau dies geschieht mit Langzeitarbeitslosen.Ein Verband wie die KAB kann und darf nicht zögern, wenn es gilt Papst Franziskus beim Streben nach einer neuen sozialen und politischen Ordnung, nach einer Zivilisation der Liebe im Kontrast zur „zivilisierten Barbarei“ der Gegenwart zu unterstützen. Hierzu aber muss sie sich immer wieder von ihren Wurzeln her erneuern.
Im letzten Kapitel spricht der Papst indirekt eine der wohl heikelsten Aufgaben der KAB an. Diese besteht darin, die sozialen Fragestellungen der Gegenwart in das kirchliche Leben hineinzutragen und zum entsprechenden Handeln zu drängen. Daher sollte sie unverdrossen auch kirchliche Amtsträger unentwegt auf die politische Dimension gelebten Glaubens und so auf deren Mitsorge für das Gemeinwohl hinweisen.
Es ist zu unserer Welt von Herzen zu wünschen, dass möglichst alle „Menschen guten Willens“ die neue Enzyklika des Papstes als Ermahnung und Ermutigung im Einsatz für eine Zivilisation tätiger Nächstenliebe begreifen. Für die Mitglieder der KAB gilt dies in ganz besonderem Maße.
katholisch.de: Die wichtigsten Auszüge aus „fratelli tutti“
Enzyklika „fratelli tutti“ als PDF
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