Nachrichten 
26.10.2023

Predigt von Präses Michael Wagner zum Diözesantag

Zentraler Bestandteil des KAB-Diözesantags war ein Gottesdienst am Mittag. Die KAB vertrete das Prinzip Christi in Arbeitswelt und Gesellschaft, so der Diözesanpräses in seiner Predigt. "Das Prinzip unseres Reichtums, unser Wohlstand, lebt von der Armut der Anderen. Dieses Prinzip ist Sünde. Neoliberalismus zerstört Demokratie. Steht im Widerspruch zum Christentum."

 

Gesamte Predigt im Wortlaut

Die programmatische Predigt von Landespräses Michael Wagner finden Sie hier in voller Länge zum Nachlesen. Ebenso als Download und hier zum Miterleben.

 

Das Prinzip Christi: Ursprung und Auftrag für die KAB

Prinzipien 

Wenn zwei Menschen sich streiten, argumentieren sie oft: „Mir geht es ums Prinzip!“ Um mein Handeln zu begründen, verweise ich gerne darauf: „Ich habe meine Prinzipien!“ Das Wort "Prinzip" stammt aus dem Lateinischen. Es bedeutet so viel wie "Ursprung". Spricht jemand vom Prinzip, geht es um Grundsätzliches. Um Grundsätze, nach denen er sein Leben richtet. Prinzipien stellen oft den Anfang, den Ursprung, den Impuls meines Handelns dar. Stoßen unterschiedliche Prinzipien aufeinander, kann eine Auseinandersetzung schon mal heftig eskalieren.

Eben das offenbart sich beim Streit zwischen Jesus, den Pharisäern und den Schriftgelehrten. Diese beiden Gruppen greift Jesus verbal stark an. Entscheidend, gerade angesichts der der aktuellen Diskussionen, ist, aus dem Evangelium lässt sich keinerlei Antisemitismus herausinterpretieren. Der gläubige Jude Jesus greift seine Glaubensbrüder an, weil sie für Gruppen von Menschen stehen, die er wegen ihres Verhaltens kritisiert.

Pharisäer und Schriftgelehrte waren nicht wirklich wohlhabend. Sie gehörten zu jener gesellschaftlichen Schicht, die wir heute als Mittelstand, die Mitte oder Bürgerlich bezeichnen. Um zu Gott zu gelangen, ist es ihrer Ansicht notwendig, sich mit der Tora und dem komplexen Geflecht jüdischer Gesetze auszukennen. Sie haben schon ein gewisses „elitäres“ Selbstverständnis. Folglich setzen sie sich bewusst ab von den Menschen, die sie als „das Volk vom Land“ bezeichnen. Diesem begegnen sie mit einer gewissen Geringschätzung. Deshalb werten sie diese Menschen gerne ab, wenn sie diese beschreiben als, die, „welches das Gesetz nicht kennt“. Das Volk vom Land, das das Gesetz nicht kennt. Der prekäre Pöbel, der dumme Mob.

Dabei waren die Reinheitsgebote schon ein exklusives Unterfangen. Denn wie sollen Menschen das Gesetz, sich zu reinigen, einhalten, wenn in ihrer Behausung keinerlei Wasser fließt? Menschen, die bis zu einer halben Stunde laufen müssen, um zum Brunnen zu gelangen. Wer eine halbe Stunde das Wasser trägt, dem ist das Wasser kostbar. Denn das wenige Wasser benötige ich dann, um es zu trinken oder mit ihm zu kochen. Dann fehlt mir doch jeglicher Sinn und jedes Verständnis dafür, Wasser zu verwenden, um Reinigungsriten zu vollziehen.

Ja, dies heißt doch im Alltag, ich verschwende Wasser. Und das war ein eklatantes, flächendeckendes Phänomen, denn „Das Volk, welches das Gesetz nicht kennt“, machte damals 98% der Bevölkerung aus. Das Prinzip Christi offenbart also, dass die soziale Frage im Vordergrund steht, dass Christus sich auf die Seite derer stellt, „die das Gesetz nicht kennen“. Deswegen hält er sich an seine Landsleute in Galiläa: So beruft Fischer in seine Nachfolge. Einfache Menschen mit wenig Bildung die nicht daran interessiert sind, irgendwelche scharfsinnigen Dispute mit den Schriftgelehrten zu führen.

Jesus wendet sich Menschen zu, die im Schweiße ihres Angesichts, mit verdreckten Kleidern, mit schmutzigen Händen ihre Arbeit vollbringen, um von deren Ertrag zu leben. Gerade das einfache Volk, so sein Prinzip, steht Gott näher, als die mittelständische Verwaltungs- und Beamtenschicht. Rein oder Unrein? Hier geht es um die Ursachen sozialer Unterschiede.

 

Prinzip Christi

Das Prinzip Christi deckt die Differenzen auf, die zwischen den sozialen Schichten aufklaffen. Damals wie heute gilt: Nicht die Begabung, sondern die Herkunft entscheidet, welche Bildungschancen ein Mensch besitzt. Bildungsarmut wird vererbt. Folglich werden Begabungen nicht entfaltet, Persönlichkeiten nicht entwickelt, ja Menschwerdung wird blockiert. Die Zahl der Menschen, die sich gesellschaftlich abgehängt fühlen, die ihre Zukunft bedroht sehen, wächst stetig an.

Menschen, die sich ohnmächtig fühlen, die sich gesteuert fühlen, werden anfällig gegenüber jenen falschen Propheten, die ihnen erklären: Schuld ist der Andere: Schuld ist Berlin. Schuld ist der Arbeitslose. Schuld ist der Flüchtling. Populistische Propheten propagieren ihr Prinzip:

Schuld ist der Andere. Eine Chemnitzerin erklärt auf die Frage, warum sie an den Pegidademonstrationen teilnimmt: „Man muss ja gegen irgendwen sein, und mit denen ist es einfach.“

Das Prinzip, den anderen auszugrenzen, ist bequem. Ist aber die Lunte der Ausgrenzung entzündet, kommt gewiss der Ort und der Zeitpunkt, an dem sie ihre Sprengkraft vernichtend wirken lässt. Menschen, die selber ausgegrenzt werden, grenzen aus. Menschen, die verletzt werden, verletzen andere. Hier wirkt das Prinzip tödlicher Eskalation. Menschen, die nicht mehr lernen, wie Teilhabe und Partizipation funktioniert, sind auch unfähig, miteinander zu diskutieren. Gilt es konträre Standpunkte auszuhalten, sind sie hilflos.

Wer als Abgeordneter und Minister, der demokratisch gewählt worden ist, verspricht, die Demokratie zurückzuholen, der stößt die Demokratie weg in die Ferne. Wenn ich den Anderen als undemokratisch delegitimiere, versiegele ich den Raum, den wir benötigen, um miteinander zu diskutieren. Ein tödliches Vakuum entsteht, indem nur noch das Spektakel stattfindet, während Respekt sich verflüchtigt. Wer den anderen abwertet, überhebt sich. Gelingt es nicht, den Kreislauf des sozialen Abstieges zu unterbrechen, steigen irgendwann die Bösen Gedanken, Worte und Taten aus dem Herzen.

 

Prinzip der Gleichgültigkeit

Jesus wirft den Schriftgelehrten vor, dass sie sorglos sind. Sie urteilen und verurteilen. Aber genau genommen ist es ihnen egal, ob ihre Mitmenschen zu Gott gelangen. Hauptsache, das eigene Auskommen ist gesichert. Das ist das Prinzip der Gleichgültigkeit. Papst Franziskus geißelt es als mörderisch.

Ich sündige auch dann, wenn ich eine gute Tat unterlasse. Ich sündige, wenn ich Antisemitismus salonfähig mache. Wer den Nationalsozialismus kaschiert, wer Freifahrten durch Schornsteine von KZs verspricht, wer das gar als „Jugendsünde“ herunterspielt, sich als Opfer einer Kampagne inszeniert; wer meint, dass Flüchtlinge an der deutschen  Grenze erschossen gehören; wer Politikerinnen während Wahlveranstaltungen mit Steinen bewirft, der, das muss ich hier so eindeutig sagen, der erbaut jenen die Denkmäler, die Propheten umgebracht haben. Jenen Propheten vor hundert Jahren, die standhaft ihren Widerstand leisteten: Hans und Sophie Scholl, Nikolaus Groß, Dietrich Bonhoeffer und und und.

Unterlassene Hilfeleistung ist Sünde. Noch mehr: Menschen im Mittelmeer ersaufen zu lassen, weil das Reinheitsgebot des Asylrechts gefährdet ist. Das ist Mord. Menschen zu töten, die flüchten, weil das Prinzip des Wachstumskapitalismus, der neoliberalen Prinzipien, die Lebensgrundlage zerstört. Das Prinzip unseres Reichtums, unser Wohlstand, lebt von der Armut der Anderen. Dieses Prinzip ist Sünde. Neoliberalismus zerstört Demokratie. Steht im Widerspruch zum Christentum.

 

Das Prinzip Christi bewahren

Die Wahlergebnisse am letzten Sonntag förderten es zu Tage: Das Prinzip Christi steht in Deutschland auf der Kippe. Wer Investitionen in die Zukunft, in die Kinder und Bildung unterlässt, liefert die Munition, für die zerstörerische Rhetorik rechter Agitatoren. Die bürgerliche Mitte selber beschleunigt es, Brandmauern nach rechts einzureißen, um sie rechts zu überholen, anstatt sich ihnen mutig entgegenzustellen! All das droht die Demokratie und unser soziales Gefüge zu zerreißen.

Ganz deutlich muss ich sagen: Als Katholische Arbeitnehmer:innenbewegung  obliegt uns der Auftrag und die Verantwortung, dem Prinzip Christi zu folgen. Daraus folgt für uns, konkret zu handeln. Überlegt euch vor Ort bitte: Wie gelingt es uns, mit den Menschen, die AfD wählen, nicht den Vertretern der AfD, wieder ins Gespräch zu kommen? Aber auch: Wie gehen wir mit denen unter unseren Mitgliedern um, die selber mit den rechten Agitatoren sympathisieren?

Die Sorgen und Nöte, die diese Menschen umtreiben, müssen ernstgenommen werden. Bei den „Mensch wähl mich“-Aktionen entstanden gute Kontakte zu Politikern der demokratischen Parteien. Wie können diese ausgebaut werden, sie einbezogen werden, wenn wir den Diskurs mit pflegen wollen? Das Prinzip Christi fordert uns, die Kämpfer für Demokratie zu einen und zu stärken. Das ist ein neuer Anfang, ein wichtiger Impuls, der von uns ausgehen kann.

Sicher, der Frust sitzt tief, wenn es darum geht, bei den wirklich Mächtigen Gehör zu finden. Zwar lässt sich mit den Fachpolitikern gut reden, aber die Entscheidungsträger erreichen wir nicht. Dann muss die Basis eben solange rütteln bis die Erde sich bewegt, der Druck so stark wird, dass sich die Oberen nach unten beugen.

Ja, unser demokratisches System und Handeln zeigt Schwächen. Doch es gilt, diese zu beheben, nicht aber die Demokratie an sich auszuhebeln.

Wie gelingt es, das Volk vom Land, das sich ungehört fühlt, zu hören. Die Konzentration auf die Region München fordert Opfer in den ländlichen Regionen, zerstört lebenswichtige Strukturen. Das werden wir miteinander in den Blick nehmen müssen, hier werden wir auch differenzierter nachdenken müssen. Aber das Prinzip „die da in München“ sind schuld, darf nicht die Debatte in unserem Diözesanverband beherrschen. 

Als KAB müssen wir ernst- wahrnehmen: Es herrschen derweil Verteilungskämpfe in unserem Land. Dem Prinzip Christi zu folgen, verlangt Mühe und Einsatz! Offene Fragen aushalten. Komplexe Fragen, nicht einfach durch Ausgrenzung beantworten. Den Anderen und Fremden  nicht zum Sündenbock zu stempeln, weil es so einfach ist.

Christus spricht schließlich vom Schlüssel der Erkenntnis, der weggenommen worden ist. Der Schlüssel, der alles aufschließt, liegt darin, die soziale Frage zu lösen. Soziale Solidarität sowie Gesellschaftliche Gleichheit aller Menschen stellt die Grundlage dar, auf der das Prinzip Christi aufbaut. Das Prinzip Christi beginnt, leben zu schaffen, wenn ich es vorlebe. Dabei bin ich nicht allein, ich bin mit euch, ihr seid mit mir, miteinander sind wir in Bewegung.

Uns darf die Hoffnung tragen, dass wir nicht die ersten sind, die schwere Zeiten zu gestalten haben. Wir stehen in Gemeinschaft mit denen, die sie vor uns gestaltet haben und mit dem, der uns durch die Zeiten begleitet, der unser aller Ziel ist: Christus. Im Prinzip geht es darum, unseren Impuls und Anfang zu finden, um in Tat, Wort und Gebet unterwegs zu sein.

So segne Gott unsere christliche Arbeit

Gott segne sie!

Amen.

 

SERVICE

Die Predigt als pdf-Datei zum Download.

Video der Predigt auf unserem Youtube Kanal.

 

 

 



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